Linus Köppel
war beim Besuch des "Solarbutterflys" in Eschlikon mit dabei.
Der Sirnacher Artjom Lippuner (30) wurde als Tamara Sue in einem Körper geboren, der nicht zu seiner wahren Identität passte. Über viele Jahre hinweg erlebte er eine turbulente Zeit voller Unwohlsein und dummer Sprüche.
Sirnach Um die Geschichte von Artjom Lippuner zu verstehen, müssen wir die Zeit zurück in seine Kindheit drehen. Aufgewachsen ist der heute 30-Jährige als Tamara Sue in verschiedenen Orten im Thurgau. Den Hauptteil seiner Kindheit und Jugend verbrachte er in Münchwilen und Sirnach. Als Tamara in den Kindergarten kam, fühlte sie sich von Anfang an anders. Schon in jungen Jahren fand sie mehr Gemeinsamkeiten mit den Jungen in ihrer Umgebung als mit Mädchen.
Ihr älterer Bruder war ihr Vorbild, und sie spielte lieber mit Bayblades, Wasserpistolen und anderen typisch männlichen Spielsachen als mit Puppen und Plüschtieren. «Ich ging mit meinem Bruder und seinen Kollegen raus in den Wald, an den Fluss oder mit auf den Fussballplatz», erinnert sich Artjom Lippuner heute zurück und betont, dass er schon früh gemerkt habe, dass etwas nicht ganz stimme und er sich in einer anderen Rolle wohler gefühlt hätte.
Ablehnung hautnah erlebt
Als die Pubertät begann und körperliche Veränderungen einsetzten, geriet Tamara mit zwölf Jahren auf eine emotionale Achterbahnfahrt. «Plötzlich wollten meine männlichen Sandkastenkollegen nichts mehr mit mir zu tun haben, weil ich ja ein Mädchen sei», erzählt Artjom Lippuner. Die Ablehnung und das Unverständnis seitens der Jungs in Tamaras Umfeld traf sie wie ein Schock. Plötzlich hiess es: «Du gehörst nicht zu uns.» Sie wurde ausgeschlossen und mit abwehrenden Reaktionen konfrontiert. «Ich fühlte mich in enge Zwänge gedrängt und nicht mehr wohl.» Tamara kämpfte gegen das Gefühl der Fremdbestimmung und fügte sich schliesslich den gesellschaftlichen Normen. «Ich fühlte mich wie eine leere Hülle, ohne wirklich dazuzugehören», fasst Artjom, wie er sich heute nennt, zusammen.
Doch in Tamaras Inneren wuchs die Erkenntnis, dass sie nicht in diese Rolle passte. Sie begann zu erkennen, dass ihr wahres Selbst nicht dem entsprach, was die Welt von ihr erwartete. Die Abweisung seitens ihrer männlichen Freunde und die gesellschaftlichen Erwartungen an Mädchen verstärkten ihre inneren Konflikte. Sie fühlte sich nicht akzeptiert und verstanden, was zu einem Gefühl der Isolation führte. Die Unsicherheit darüber, wer sie wirklich war, belastete sie zunehmend. Je weiter die Pubertät voranschritt, desto unwohler fühlte sie sich. Während ihre Freundinnen begannen, sich für Make-up und Jungs zu interessieren, fühlte sie sich immer unwohler in ihrer Haut. Die physischen Veränderungen, die mit der Pubertät einhergingen, verstärkten das Gefühl der Dissonanz zwischen ihrem Körper und ihrer Identität weiter. «Ich wollte nur noch raus aus meinem Körper und so sein wie die Jungs», sagt der Sirnacher heute über seine Pubertätszeit.
Die Flucht nach vorne
Tamara fand während der Schulzeit dann doch Anschluss bei den anderen Mädchen, war aber mehr als Mitläuferin oder Aussenseiterin unterwegs in dieser Zeit. Während ihre Kolleginnen Interesse an Knaben entwickelten, versuchte sie auch ihre ersten Schritte, um den eigenen Körper kennenzulernen. «Ich erfüllte einfach die Rolle, die von mir erwartet wurde.» Die ersten sexuellen Erfahrungen waren eher ein Über-sich-ergehen-Lassen als ein schönes Erlebnis. Infolgedessen wuchs die innere Unzufriedenheit und sie fühlte sich je länger, je unglücklicher. Also wagte sie die Flucht nach vorne. «Ich dachte mir, wenn schon alle ein Mädchen erwarten, dann gebe ich der Welt auch eines.» Tamara liess ihre Haare wachsen, trug kurze Kleider und schminkte sich ausgiebig. Doch es half alles nichts. «Das leere Gefühl im Inneren blieb bestehen», erinnert Artjom sich heute an diese Zeit mit Anfang 20 zurück. In ihrer Verzweiflung begann Tamara, sich im Internet zu erkundigen.
Dort stiess sie auf Geschichten von Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. In Chatrooms und bei Rollenspielen konnte sie ihre männliche Seite ausleben und fand dadurch ein erstes Ventil, um den aufgestauten Druck abzulassen. Sie entdeckte den Begriff Transgender und begann, sich mit ihrer Identität und ihrem Geschlecht auseinanderzusetzen.
«Stupsi nimmt mich, wie ich bin»
Da Tamara Lippuner in den Weiten des Internets Zugehörigkeit fand und merkte, dass sie gar nicht so anders war – lediglich im falschen Körper –, traute sie sich, sich männlicher zu zeigen. Geholfen hat ihr in einer Anfangsphase auch die Zeit in ihrer Lehre als Tierpflegerin. «Ich konnte körperliche Arbeit verrichten, und mir gefiel der teils raue Umgangston.» Der gefasste Mut spiegelte sich auch in ihrem Erscheinungsbild wider. Sie trug die Haare kürzer, war oft in männlichen Kleidern unterwegs und gab auch mal einen frechen Spruch zurück. Sie fühlte sich zwar wohler, doch wurde immer noch nicht von der Welt akzeptiert. «Dumme Sprüche wie Mannsweib oder Kampflesbe haben schon wehgetan.» In dieser Zeit hielt als eine der wenigen Personen ihre beste Kollegin zu Tamara, die Artjom bis heute an seiner Seite hat. «Ihr konnte ich mich anvertrauen und wurde nicht verurteilt. Es braucht nicht viele Menschen an der Seite, solange es die richtigen sind.»
Ein Tag, der Tamaras Leben zudem veränderte, war, als der wenige Monate alte Hund Stupsi in das Tierheim kam, in dem sie ihre Ausbildung machte. Ängstlich, verstört und abgemagert kauerte der Hundewelpe von der bulgarischen Strasse auf einer Bettdecke. Tamara nahm sich des Tiers an. Bis heute ist der Hund an seiner Seite und hat die gesamte Veränderung miterlebt. «Stupsi hat mich nie nach meinem Geschlecht gefragt, sondern mich einfach so genommen, wie ich bin», sagt Artjom und streichelt dem Hund übers Fell. Nach der bestandenen Lehre wollte Tamara Nägel mit Köpfen machen und entschied sich für eine kompletten Geschlechtsanpassung – nichts ahnend, was für ein Weg noch auf sie zukommen würde.
Teil 2: Fremd im eigenen Körper
Der zweite Teil von Artjoms Geschichte erscheint am kommenden Donnerstag, 11. April. Dann spricht er über die medizinischen Veränderungen, die Schmerzen und sein neues Leben als Mann.
Von Jan Isler
Der Solarschmetterling aus der..
Im süddeutschen Raum kommen..
Es war eigentlich nur ein kurzer..
Fast jeder hat sie schon gesehen:..
2017 gründete Monika Egli (45) die..
Sende uns ein Bild oder Video! Bild hochladen
Wir verwenden Cookies zur Unterstützung der Benutzerfreundlichkeit. Mit der Nutzung dieser Seite erklären Sie sich einverstanden, dass Cookies verwendet werden. Für weitere Informationen besuchen Sie bitte unsere Datenschutzerklärung
Lade Fotos..