Walter Pfister
kämpft um das Weiterbestehen des Billardclubs Flawil.
Mit Whatsapp, Teamwork und viel Herzblut gegen tonnenweise Lebensmittelverschwendung in der Ostschweiz: Im Interview erzählt Nicole Stadler, die Leiterin von Food Chat, über ihr Lebensmittelrettungskonzept, über Teamwork, süsse Ananas und ihre ganz persönlichen Beweggründe.
Ostschweiz Bei Food Chat werden seit dem Jahr 2020 Lebensmittel mit kleinen Mängeln oder aus Überproduktion zu vergünstigten Preisen zum Verkauf angeboten, damit diese nicht auf dem Müll landen. «Wem zu grosse Äpfel, unförmige Rüebli oder zu dünne Spargeln egal sind, dem bietet Food Chat eine einfache Lösung, um Food Waste den Kampf anzusagen», so Nicole Stadler. Sie hat seit letztem Jahr die Leitung dieser innovativen Initiative gegen Lebensmittelverschwendung übernommen. «Es nennt sich Food Chat, da wir nicht nur jede Woche von Montag bis Freitag unsere festgelegten Standorte mit geretteten Lebensmitteln beliefern, sondern, weil wir mit unserer Kundschaft auch noch mittels einer Whatsapp-Gruppe kommunizieren.» Das sei nötig, da sie meist selbst erst kurzfristig wissen, welche Lebensmittel gerettet werden müssen, und so kein beständiges Sortiment anbieten können. «Birnen, Kartoffeln oder Äpfel haben wir sehr oft, aber garantieren können wir das nicht», so Stadler. Wer trotzdem vorab schon wissen möchte, was für ein Produktsortiment an Lebensmitteln ihn oder sie erwartet, wird jeweils am Vortag via Whatsapp informiert. Den Beitrittslink zur Gruppe findet man auf ihrer Webseite: foodchat.ch > Standorte.
Direkt aus dem Lieferwagen verkaufen sie dann ein wechselndes Sortiment aus Gemüse, Früchten oder Eiern. Auch exotische Früchte wie Kokosnuss, Drachenfrucht oder Ananas wurden bei den Grosshändlern bereits zurückgewiesen und durften so mit den Food-Chat-Fahrern mit auf Tour durch die Ostschweiz. «Bei Ananas ist es oft so, dass diese überreif ankommen und deswegen abgelehnt werden. Dabei sind sie gerade dann noch viel süsser. Kunden sagten mir bereits, sie hatten noch nie so leckere Ananas wie die von uns», so Stadler.
«Angefangen hat alles, weil mein Schwager, der selber mit Lebensmitteln handelt, mehrere Tonnen Trauben hätte wegwerfen müssen. Wir haben selber einen Obstbaubetrieb und wissen genau, wie viel Aufwand in der Produktion steckt, und es wäre Wahnsinn, das alles einfach wegzuwerfen», so Stadler. So feilten ihr Schwager und der vorgängige Leiter am Konzept des Food Chat. Jetzt, nach vier Jahren, retten sie jede Woche drei bis sechs Tonnen Lebensmittel. «Man kann so gut wie alle Lebensmittel einfrieren, um ihre Haltbarkeit zu verlängern», so Stadlers Tipp zur Lebensmittelrettung im Alltag: «Beispielsweise bei Ingwer, Mango oder Spargeln wissen das viele nicht.» Entsprechend rät sie potenziellen Kundinnen und Kunden schmunzelnd, gleich eine grössere Tiefkühltruhe zu kaufen. Lebensmittel, die sie trotzdem nicht mehr mit gutem Gewissen verkaufen kann, gibt Stadler auch gerne gratis als Tierfutter ab: «Alles ist mir lieber als wegwerfen.»
Stadlers Weg, aktiv gegen Lebensmittelverschwendung vorzugehen, startete vor einigen Jahren auf einer Reise nach Afrika. «Auf einer Exkursion mit meinem Mann kam ein kleiner Junge und bat um Wasser. Die Flasche, die er bekommen hatte, brachte er sofort zu einer Gruppe weiterer Jungs, um sie mit den anderen zu teilen. So etwas führt einem schon schmerzlich vor Augen, wie gut man es doch hat.» Nach dieser Reise passte Familie Stadler als Erstes gleich ihr Koch- und Essverhalten an: «Ich wollte keine Reste mehr wegwerfen müssen, entsprechend fingen wir an, weniger und bewusster zu kochen. Und auch wenn ich im Laden einkaufen gehe, suche ich mir extra diejenigen Lebensmittel aus, die unschön aussehen, weil ich weiss, dass diese sonst liegen bleiben und im Abfall landen würden.»
«Für den Konsumenten, die Umwelt und das Gewissen auf jeden Fall. Food Chat arbeitet auf einer Non-Profit-Basis, finanziell mache ich durch diese Arbeit also keinen Profit», so Stadler. Lebensmittel, die ein Grossverteiler retourniert, für die zahlt er dem Grosshändler nichts und dieser auch nicht seinen Lieferanten. Entsprechend verlieren, ausser dem Grossverteiler, alle involvierten Parteien. Damit aus diesem grossen Minus dennoch ein Plus he-rausschaut, setzen sich Stadler und ihr Team ein: «Food Chat ermöglicht es, dass der Grosshändler mindestens einen Teil seiner finanziellen Aufwände decken und zudem einen Betrag seinen Lieferanten bezahlen kann. Die Kunden wiede-rum erhalten die Möglichkeit, gute Lebensmittel zu einem günstigeren Preis zu kaufen.» Mit dem Erlös deckt sie lediglich die Unterhaltskosten wie Logistik und Infrastruktur und kann damit ihre Fahrer bezahlen.
Lebensmittelrettung ist nur eine Seite der Medaille, auf der anderen Seite stehen für Stadler aber auch die Menschen: «Leute, die aufs Geld schauen müssen, oder Grossfamilien sind besonders froh um unser Angebot.» Entsprechend möchte sie Food Chat trotz Familie und Vollzeitjob noch lange weiterführen. «Aber ohne meine engagierten Fahrer ginge es nicht. Ich bin froh, so motivierte Leute um mich zu haben, das gibt auch mir die Kraft, weiterzumachen», so Stadler. Gemeinsam schaffen sie es momentan, jede Woche von Montag bis Freitag 20 Standorte mit geretteten Lebensmitteln zu beliefern. Ab dem 7. August kommt noch der 21. Standort in Wila mit dazu. Noch weiter zu expandieren, sei laut Stadler eigentlich nicht geplant. «Für einen weiteren Standort im Raum Wil, Sirnach oder Aadorf wäre auf der Route aber vielleicht noch Platz, wenn die Nachfrage besteht.» Stadler freut sich auf neue Kundschaft: «Aber bitte denken sie daran, ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit auch eine eigene Tasche mitzubringen.»
jms
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