Linus Köppel
war beim Besuch des "Solarbutterflys" in Eschlikon mit dabei.
Mittlerweile kann Artjom Lippuner sein Spiegelbild akzeptieren.
Artjom Emri Lippuner (30) hat sich mehreren geschlechtsangleichenden Operationen unterzogen und steht nun vor der einschneidendsten von allen
Sirnach Im ersten Artikel vor einer Woche schilderte der Sirnacher Artjom Lippuner seine Kindheit und Jugend im falschen Körper. Er hat sich für ein Outing und eine Geschlechtsanpassung entschieden. Was das genau bedeutet, hat er den WN erzählt.Artjom Lippuner machte sein Outing in einem entscheidenden Moment seines Lebens, als er 25 Jahre alt war. «Ich hielt es nicht mehr aus und musste diesen Schritt gehen», erinnert sich der 30-Jährige heute zurück. Bei seiner besten Freundin fühlte er sich sicher und geborgen und entschied sich, ihr als einer der ersten Menschen von seinen Gefühlen zu erzählen. Genau wie sein Hund Stupsi hält sie bis heute zu ihm. Doch die grösste Herausforderung bestand darin, seinen Eltern die Wahrheit zu sagen. Mit vielen Ängsten und Horrorszenarien im Kopf setzte er sich schliesslich durch und offenbarte seiner Familie seine wahre Identität. Die Reaktionen seiner Eltern fielen unterschiedlich aus. «Es flossen Freudentränen, als ich es ihnen endlich sagen konnte, und mir fiel ein grosser Stein vom Herzen.» Während seine Mutter einfühlsam und unterstützend reagierte und ihre Liebe und Akzeptanz zeigte, brauchte sein Vater etwas länger, um die Neuigkeiten zu verarbeiten. «Mittlerweile hat er es genauso akzeptiert wie meine Mutter, was mich sehr freut», sagt er heute über die Beziehung zu seinem Vater. Anfangs glaubte sein Vater, dass es sich um eine vorübergehende Phase handele, doch mit der Zeit erkannte er die Ernsthaftigkeit von Artjoms Gefühlen und stand schliesslich hinter ihm. Der Sirnacher erklärte während seines Outings auch, dass er den Worten nun Taten folgen lasse und sich von Tamara Sue zu einem Mann umwandeln lassen wolle. Eine psychisch und körperlich schwere Zeit stand bevor.
Als «Schwuchtel» betitelt
In der Zwischenzeit kämpfte Artjom mit psychischen Belastungen, insbesondere mit Genderdysphorie, was zu einem starken Verlust an Selbstbewusstsein führte. «Ich fühlte mich gezwungen, mich in eine Rolle zu fügen, die nicht meiner wahren Identität entsprach, und musste gegen diese Zwänge nach wie vor ankämpfen.» Obwohl er im Berufsleben und im persönlichen Umfeld nach seinem Outing Akzeptanz fand, stiess er nicht überall auf Verständnis. «Langjährige Bekannte haben mir ins Gesicht gesagt, dass ich als «Schwuchtel» für sie gestorben sei. Das war hart.» Bevor er den nächsten grossen Schritt wagte, fühlte er die Notwendigkeit, eine berufliche Pause einzulegen, um sich und seinen Gemütszustand wieder zu stabilisieren. «Ohne diesen Moment der Selbstreflexion und Stärkung wäre der bevorstehende Kampf um meine Identität sinnlos gewesen», sagt der Arbeitssuchende.
Operative Eingriffe
Er wandte sich an Ärzte und Fachleute, um Unterstützung und Informationen über den Prozess der Geschlechtsanpassung zu erhalten. Dieser Weg war geprägt von vielen Hürden und Herausforderungen. Es dauerte zwei Jahre, bis er die richtigen Anlaufstellen fand und schliesslich einen Termin für das Erstgespräch im Universitätsspital Zürich bekam. Insgesamt musste er drei Gespräche mit einem Psychologen absolvieren. «Viele, die eine Geschlechtsanpassung vollziehen wollen, fallen nach dem ersten Gespräch durch. Es gibt harte Kriterien», erklärt Artjom Lippuner. Er musste sich durch viele bürokratische Prozesse der Krankenkasse kämpfen, um sicherzustellen, dass seine Hormonbehandlungen abgedeckt waren. Dies machte letztendlich einen Wechsel der Krankenkasse erforderlich. Schliesslich bekam er die Zulassung zur Hormonbehandlung und konnte bereits wenige Monate danach beginnen.
Höllische Schmerzen durchlebt
Eine Hormontherapie zur Geschlechtsangleichung beinhaltet die Verabreichung von Hormonen, um die körperlichen Merkmale dem empfundenen Geschlecht anzugleichen. Bei transmaskulinen Personen, die vom weiblichen zum männlichen Geschlecht übergehen, beinhaltet die Hormontherapie in der Regel die Verabreichung von Testosteron mit einer Spritze. «Ich habe noch nie so einen Schmerz empfunden. Das Mittel brennt wie Feuer», erinnert sich Artjom Lippuner zurück. Sobald die Hormone wirken, treten Müdigkeit und Schmerzen im ganzen Körper auf. «Ich war jeden Tag gespannt, was sich verändern würde.» Als Erstes nahm er massiv an Gewicht zu und bemerkte, dass sich seine Stimme veränderte. Zudem wuchs seine Behaarung und die Körperform begann sich zu verändern. «Das waren die schlimmsten Schmerzen, da sie monatelang andauerten», erinnert er sich zurück. Nachdem die Therapie angeschlagen hatte, stand der nächste Schritt, das Abnehmen der Brüste, an. Diese Operation führte er gleichzeitig mit der Entnahme der Gebärmutter und der Eileiter durch. «Normalerweise verträgt ein Patient solch einen Eingriff nicht zusammen. Aber ich wollte die Schmerzen nur einmal.» Glücklicherweise verlief auch dieser Eingriff reibungslos, und Artjom erholte sich langsam davon. Zu dieser Zeit liess er auch seinen Namen endgültig von Tamara Sue in Artjom Emri ändern. «Mir war es wichtig, dass meine Mutter mir zum zweiten Mal einen Namen gibt, der auch ihr gefällt. So wählte sie Emri», sagt er. Den Namen Artjom gab er sich in Anlehnung an die griechische Göttin Artemis, die der Geburt und der Jungfräulichkeit zugehörte.
Die ganze Mühe umsonst?
Nun bereitet sich Artjom auf die letzte grosse Operation vor. Das primäre männliche Geschlechtsteil soll ebenfalls ein Teil von ihm werden. Dabei ist das Risiko, dass der Körper dieses abstösst, sehr hoch. «Es könnte sein, dass die ganze Mühe der vergangenen fünf Jahre für die Katz gewesen wäre», sagt er und ergänzt: «Dann wäre ich weder Mann noch Frau und auf halbem Weg gescheitert.» Bei diesem letzten und grössten Eingriff wird aus Fettgewebe und Haut ein «Burrito», wie Artjom den Prozess selber beschreibt, geformt und in einem zweiten Schritt der Penoid mit Eichel gebildet. «Mein Körper lässt sich wie eine Wohnung vergleichen, in der man zwar schon lebt, aber überall noch eine Baustelle ist», fasst der Sirnacher zusammen und betont abschliessend, dass er sich, seine Persönlichkeit und insbesondere sein Geschlecht akzeptiert habe. Das Schönste für ihn sei, wenn er nicht mehr als Frau wahrgenommen werde. «Es war eine 20-jährige Odyssee, die hoffentlich bald endet, für die ich mich wieder entscheiden würde», so Lippuner zum Schluss.
Von Jan Isler
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